Schleswig-Holstein kann in diesem Jahr „rechnerisch voll mit erneuerbarer Energie versorgt werden“

Quelle: www.shz.de

 

100 Prozent seines Bruttoenergieverbrauchs werde das Land in diesem Jahr aus Wind, Sonne und nachwachsenden Rohstoffen decken können, sprach der promovierte Philosoph – um ein winziges Wort hinzuzufügen: „rechnerisch“.

Bis 2025 sollen zwischen Nord- und Ostsee mehr als 16 Gigawatt Leistung Ökostrom installiert sein – dreimal soviel wie das Land verbraucht. Die Grünen jubilieren: Das strategische Ziel von 300 Prozent Erneuerbaren sei erreichbar.

 

Rechnerisch kann das funktionieren. Doch Habecks Rechnung, das weiß der Minister, hat noch einige Unbekannte. Problem Nummer eins: Das System der Stromversorgung funktioniert nur, wenn sich Verbrauch und Produktion die Waage halten – und zwar zeitgleich. Gerät das Konstrukt aus dem Gleichgewicht, muss entweder Strom abgeleitet oder zugeführt werden – andernfalls droht ein Blackout.

 

Den zu vermeiden, wird immer teurer. Fast 1000 Mal musste der Übertragungsnetzbetreiber Tennet im vorvergangenen Jahr eingreifen, um kritische Situationen bei Angebot und Nachfrage abzufangen. 150 Millionen kostete das nach Angaben des Unternehmens – ein Aufwand, den letztlich der Stromverbraucher über die Preise teuer bezahlen muss. Das gilt auch für die drei anderen Übertragungsnetzbetreiber. 2010 – im Jahr vor der Energiewende – waren es noch lediglich 290 Eingriffe.

 

Nicht einmal im Kreis Dithmarschen, wo zehnmal mehr Ökostrom produziert als verbraucht wird, funktioniert die Energieautonomie. Nach Analysen von Netzbetreibern musste Dithmarschen an einer Reihe von Tagen im vergangenen Jahr mit konventionellem Strom versorgt werden, weil an der Küste Windstille herrschte.

 

Damit nicht genug: Was wird, wenn allen – selbst in der Energiebranche anerkannten – Bemühungen Habecks zum Trotz die für den Abtransport nötigen neuen Stromtrassen nicht fertig sind? Frühestens 2022 steht nach bisherigen Planungen eine neue Leitung über die Elbe, die Windstrom nach Süden führt. Was bis dahin mit dem erzeugbaren und vergüteten, aber nicht abtransportfähigen Strom passieren wird, ist offen. Nur soviel: Es wird immer teurer.

 

Auch wirtschaftlich zu betreibende Speichermöglichkeiten sind auf längere Sicht nicht vorhanden. Zwar laufen die Planungen zum Bau eines 600 Kilometer langen und zwei Milliarden Euro teuren Seekabels nach Norwegen auf Hochtouren. Damit könnte überschüssiger Windstrom aus Schleswig-Holstein nach Norden fließen, um dort Wasser in riesige natürliche Wasserspeicher zu pumpen. Herrscht in Deutschland Flaute, würden Wasserkraftwerke Strom produzieren, der dann durch das „Nordlink“ nach Deutschland geleitet würde. Branchenkenner wollen – allen offiziellen Zusicherungen aus Oslo zum Trotz – aber wissen, dass Norwegen seinen Strom aus Wasserkraft gern selbst auf dem europäischen Strommarkt verkaufen will. Das könnte auch Schleswig-Holsteins Speicherpläne durchkreuzen. Kommt es so, dann könnte Habecks Rechnung schnell zur Milchmädchenrechnung werden.

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Kommentare: 1
  • #1

    Plötzlich Blackout! (Freitag, 23 Mai 2014 12:02)

    Dieser Beitrag unterstreicht einmal mehr die Problematik. Auf Papier erscheint vieles optimistischer, als es in der Realität dann ist, bzw. sich realisieren lässt. Das Dramatische dabei ist, dass beim einfachen Ausbau der dezentralen Erzeugung alle Ressourcen hinein fließen, während die anderen Systemparameter noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte bis zur Realisierung brauchen, wenn dies überhaupt möglich sein wird. Damit ergibt sich die zunehmend fatale Schieflage.

    Immer wieder die selbe Ursache - fehlendes vernetztes, systemisches Denken und Handeln und das Hochjubeln von Einzelaspekten (Aktionismus) :-(.

    Siehe hierzu auch "Die vernachlässigten Schattenseiten der Vernetzung" unter http://www.ploetzlichblackout.at/app/download/9497240197/14-05+-+Schattenseiten+der+Vernetzung.pdf